Unter die Haut
Ralph Stenzel
Fotos: Robert Söllner
8. Juli 2024
Bruno Bradt - visueller Chronist des Menschseins
Bruno Maria Bradt (geboren 1962 in Timișoara/Rumänien) ist Grafiker und Künstler, seine Spezialität sind szenische Portraits. Er zeichnet überwiegend mit Bleistift auf Buchbinderkarton und setzt mit Pastellfarben sparsame Akzente. Seine in der Regel mehrteiligen Werke sind oft überlebensgroß angelegt, dabei aber bis ins kleinste Detail ausgearbeitet.
Der gut gelaunte Meister empfängt das Trifolia-Team an einem sonnigen Sommer-Samstag in seinem Haus im ländlich geprägten Fürther Ortsteil Ritzmannshof. Die aufgeräumte Atelier-Ecke im Wohnzimmer erinnert an den Arbeitsplatz eines Restaurators oder Forschers, »künstlerisches Chaos« ist nicht vorhanden...
Du bist als Kind von Banater Rumäniendeutschen in Temeswar (Timișoara) zur Welt gekommen, bist dort zur Schule gegangen und hast dort auch Deine künstlerische Ausbildung erhalten, noch vor dem Ende des Ceaușescu-Regimes. Worin lagen aus Deiner Sicht die Stärken des Bildungssystems im sozialistischen Rumänien?
Ich habe das Kunstgymnasium in Temeswar besucht. Ab der 5. Klasse wurde uns dort gutes künstlerisches Handwerk beigebracht. Unsere Lehrer waren zeitgemäße Künstler, die nicht den sozialistischen Realismus in ihren Werken umsetzten. Für diese Zeit – in den 1970er Jahren – waren sie sehr modern, was ihre eigene Kunst anbelangt.
Bei uns aber, bei ihren Schülern, waren sie sehr darauf bedacht, uns eine breite Palette an künstlerischen Fertigkeiten beizubringen. Ihr Motto war: Wir geben euch alles an die Hand, damit ihr anschließend, wenn ihr eine künstlerische Laufbahn startet, frei entscheiden könnt, welche Richtung ihr einschlagt.
Dafür bin ich ihnen auch heute noch sehr dankbar. Es ist mir bewusst: Ohne diese hervorragende Ausbildung in meiner Kindheit und Jugend könnte ich meine Werke heute so nicht umsetzen.
Du hast im sozialistischen Rumänien also keine Nachteile aufgrund Deiner Deutschstämmigkeit erfahren, konntest Dich einigermaßen frei entwickeln und hattest auch schon damit begonnen, Dir als Künstler einen Namen zu machen. Warum hast Du das Land letztlich dennoch verlassen?
Mir einen Namen als Künstler zu machen, soweit war ich noch nicht. War ja zu der Zeit noch in der Schule und Ausbildung. Ich habe allerdings schon – als Schüler der 11. Klasse im Kunstgymnasium – bei der Kunst-Landesolympiade den 1. Platz im Zeichnen besetzt.
Ich habe dann meine Familie – mein Sohn Holger war da schon geboren – und mein Studium mit Kirchenmalerei finanziert.
Da ich aber ja schon Familie hatte, musste ich mich für eine berufliche Laufbahn entscheiden, in der ich ein festes Einkommen habe. Das war dann zwar an der Kunstakademie in Klausenburg, aber es war eben Design. Es war mir freilich bewusst, dass ich als Designer unter der kommunistischen Ceaușescu-Regierung vielleicht einen Job bekommen würde, aber nichts Großes würde realisieren können.
Das war letztlich der Grund zur Entscheidung, nach Deutschland auszuwandern. Ich wusste, im Westen würde ich in diesem Beruf etwas auf die Beine stellen können.
Du bist bekannt für Deine überlebensgroßen und mit großer Liebe zum Detail gezeichneten Darstellungen von Menschen, die auf mehreren zusammengehörigen Bildtafeln eine Geschichte erzählen. Was genau möchtest Du erzählen, worauf kommt es Dir im Kern an?
Es sind alles Menschen aus meinem Umfeld, die ich persönlich kenne, kennen gelernt habe. Sie inspirieren mich durch ihre Art zu sein, zu leben, zu denken – einfach Mensch zu sein. Es sind Charakterzüge, Eigenschaften, die ich durch meine Werke einem breiten Publikum vermitteln und so den Betrachter zum Reflektieren bringen möchte.
Deine Porträts sind von schonungsloser, zuweilen geradezu verstörender Detailtreue: Man erkennt nicht nur die Dargestellten, sondern auch die Spuren des Alterns, den beginnenden Verfall des Körpers. Damit positionierst Du Dich klar gegen die heutige Smartphone-Ästhetik, die jeden banalen Schnappschuss künstlich schönt und unrealistisch aufpeppt. Was möchtest Du damit in den Betrachtenden auslösen?
In meinen Werken ist mir die Botschaft wichtig: Nicht Dein Äußeres ist das, was Dich zu einem schönen Menschen macht, es ist Deine Ausstrahlung, Dein Wesen, Deine Seele, die Art, wie Du auf Menschen zugehst. Die Falten sind die Geschichte Deines Lebens, die Dir ins Gesicht gezeichnet ist. Deine Freude, Dein Lachen, Deine Nachdenklichkeit, Deine Trauer, Dein Leid. Dein Leben. Steh’ dazu. All’ diese Zeichen in Deinem Gesicht, auf Deinem Körper machen Dich zu einem einmaligen, einzigartigen, unaustauschbaren, unverwechselbaren Menschen.
Du machst kein Hehl daraus, nicht nur als Künstler, sondern auch als Gestalter zu arbeiten und mit Gebrauchsgrafik Deinen Lebensunterhalt zu verdienen. Normalerweise verschweigen Künstler die »banalen« Seiten ihres Tuns, es gilt ja geradezu als ehrenrührig und ist dem Ruf in Fachkreisen nicht zuträglich, wenn sich jemand dazu bekennt, von kommerziellen Auftragsarbeiten zu leben. Was ist Deine Haltung dazu?
Ich sehe mich nicht unbedingt als Künstler, ich lebe nicht von der sogenannten Kunst. Zwar habe ich an der Kunstakademie studiert, aber das war Grafikdesign in der Klasse von Prof. Heinz Schillinger. Ich musste etwas studieren, womit ich auch einen Beruf ausüben konnte, um so für den Unterhalt meiner Familie sorgen zu können. Mit der Kunst habe ich erst begonnen, als meine Kinder aus dem Haus waren...
Ich bin freischaffender Werbegrafiker und arbeite zuhause. So bin ich in der Lage, die Zeit, in der ich keine Aufträge habe, der Zeichnung zu widmen. Der große Vorteil: Ich bin, was das sogenannte Künstlerische anbelangt, wirklich FREI, das was ich WILL auf den Buchbinderkarton zu bringen. Ich entscheide frei, welche Themen, in welcher gestalterischen Art, in welcher Größe ich sie umsetze.
Mir ist egal als was man mich sieht, ob als Grafiker oder als Künstler. Mir ist wichtig, dass das was ich mache wahrgenommen wird und somit die Botschaften, die ich in meine Werken einzupacken versuche, beim Betrachter ankommen.
Deine Bilder sind hier in der Metropolregion schon oft und an vielen verschiedenen Orten zu sehen gewesen, aber wenn man Deine Facebook-Seite anschaut, dann scheinen Deine Ausstellungen in Rumänien deutlich größer und viel besser besucht zu sein als die in Deutschland, mediale Berichterstattung in Presse und Fernsehen inklusive. Worauf führst Du das zurück?
Ich kann mir gut vorstellen, dass es daran liegt, dass ich als ein vor vielen Jahren ausgesiedelter Bürger den Weg wieder in die »alte Heimat« finde und auch offen kommuniziere, dass die Ausbildung, die ich damals dort genossen habe, es mir überhaupt erst ermöglicht hat, dieses Niveau zu erreichen. Ich habe auch das Gefühl, die sogenannten Balkanvölker sind etwas aufgeschlossener und gehen mehr auf einen zu.
Außerdem bin ich hier in Franken, in Bayern, in meiner jetzigen Heimat, nur einer unter vielen Kunsttreibenden und werde deshalb auch nicht so speziell wahrgenommen. Ich habe zudem den Eindruck, dass man hier mehr der sogenannten zeitgenössischen Kunst linientreu ist und den aktuellen Realismus nicht wirklich einordnen kann... Das ist natürlich nur meine Meinung.
Pressespiegel: »Zwischen Liebeslaken und Leichentuch: Wie der NN-Kunstpreis 2024 unter die Haut geht« (NN+)
Ungeachtet der unterirdischen Artikelüberschrift freut sich das Trifolia-Team mit Bruno Bradt über den 1. Preis, der ihm beim diesjährigen Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten zugesprochen wurde. In der heutigen Printausgabe der Fürther Nachrichten ist der Artikel übrigens weit sensibler mit »Auf Tuchfühlung mit dem Leben« betitelt.